Bilanz der Vesperkirche Weingarten 2020
21 Tage lang hat das Motto „Nähe leben“ die Veranstaltung getragen. „Wir haben damit ein Zeichen gesetzt“, meint Gerd Gunßer. Selten habe ein Vesperkirchen-Thema die Menschen so berührt. So könnte es also sein: Miteinander essen, miteinander sprechen, Menschlichkeit zeigen. Hier rage die Vesperkiche als Leuchturm aus dem Alltag vieler heraus, die arm an Geld oder arm an sozialen Kontakten sind.
Denn die Not, dass viele sich täglich eine warme Mahlzeit leisten können, diese Not ist da. Sie ist auch im reichen Oberschwaben Realität. Eine Alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, sei jeden Tag zum Essen gekommen, erzählt der Diakon. Am Ende sagte sie, jetzt könne sie neue Schuhe für ihre Kinder kaufen. Und für einen Hartz-VI-Empfänger sei ein Hirschgulasch eine besondere Mahlzeit.
7400 Tassen Kaffee, 9500 Essen, 1500 Vespertüten und 45000 ehrenamtliche Arbeitsstunden; im Schnitt waren 550 Menschen pro Tag zum Mittagessen in der Kirche; 600 waren es einmal an einem Tag; in der Summe sind das knapp 10.000; die Kulturveranstaltungen besuchten etwa 1500 Interessierte. Die Organisation habe reibungslos geklappt, niemand habe hungrig die Kirche verlassen. Dafür hätten die beteiligten Bäckereien und die Zieglerschen, die für das leibliche Wohl zuständig waren gesorgt. Ob am Ende auch eine schwarze Nulle stehe, konnte Gunßer noch nicht sagen, das werde noch ein paar Tage dauern.
Froh, dass es jetzt „rum“ ist, ist Gunßer schon ein bisschen. Die drei Wochen seien immer sehr arbeitsintensiv und aufreibend. Aber Wehmut sei natürlich auch dabei. Gunßers großer Traum ist nach wie vor, den „Geist“ der Vesperkirche, das Miteinander quer durch die gesellschaftlichen Schichten, auch in das ganze Jahr hineinzutragen. Projektideen, wie eine Vortagsbäckerei-Filiale, in der Brot und Süßes vom Tag davor zu einem günstigen Preis gekauft werden können, hat der Diakon.
Freilich weiß auch Gunßer um die Schwierigkeit eine „Ganzjahresvesperkirche“ einzurichten, denn der besondere Charakter dieser drei Wochen am Jahresanfang liege vor allem darin, dass in einer Kirche gegessen wird. Das mache das Ereignis so unverwechselbar. Das zeige der Vergleich mit ökumenischen Vesperkirchen, die in Gemeindehäusern stattfinden. In katholischen Kirchen ist eine solche Veranstaltung nicht erlaubt.
Trotz ihrer Popularität sei die Vesperkirche aber noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Auch nach zwölf Jahren sei das noch kein Selbstläufer, sagt Gunßer. Die Frage „Was? Das gibt es?“ höre er immer wieder.
Fest steht allerdings: Nach der Vesperkirche ist vor der Vesperkirche. Denn im nächsten Jahr soll die 13. Auflage stattfinden. Wo genau, das stehe noch nicht fest, aber ganz sicher im Schussental. Man werde zeitnah das Gespräch mit den Kirchengemeinden suchen.
Text: Markus Reppner | Schwäbische Zeitung Ravensburg