Podiumsdiskussion in der Vesperkirche: Experten fordern ein Bündnis für Wohnen

Ein Bündnis für Wohnen – das scheint der einzig machbare Weg zu sein, um in Zukunft weiteren bezahlbaren Wohnraum in Ravensburg und Umgebung zu schaffen. Dafür warb nicht nur Ravensburgs Baudezernent Dirk Bastin, sondern auch alle anderen Teilnehmer der Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend in der Ravensburger Vesperkirche stattfand, sprachen sich hierfür aus. Auffallend war der hohe Grad an übereinstimmenden Argumenten.

Moderator Markus Müller, seit Kurzem Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, beschwor am Ende der Diskussion den guten Geist, der hier, von der evangelischen Stadtkirche in Ravensburg, ausgehe: „Kirche, wenn sie ihre Türen wie hier bei der Vesperkirche öffnet, kann gute Stimmung erzeugen. Und wir wissen, dass wir heute und hier für die öffentliche Sache verantwortlich sind.“ Ein wenig Pathos – und dennoch nahm Müller die wesentliche Botschaft, die von den Teilnehmern auf dem Podium ausging, mit: Ravensburg braucht ein Bündnis für Wohnen mit erschwinglichen Mieten. Und dafür müssten alle Akteure auf dem Markt – Landes- wie Kommunalpolitik, Verwaltung, Wohnungseigentümer mit Mieter und Sozialverbände – an einem Strang ziehen. Sonst, und da waren sich an diesem Abend vor rund 70 Zuhörern alle einig, wird’s nichts werden mit dem Bündnis für Wohnen.

Allen Beteiligten war aber auch klar, dass es neuen, zusätzlichen Wohnraum in Ravensburg und seiner nächsten Umgebung benötigt. Vor allem kleinere Wohnungen fehlten am Markt, aber auch solche für Familien mit mehreren Kindern. In diesem Zusammenhang warf Baudezernent Bastin die Zahl von 500 bis 800 leerstehenden Wohnungen in Ravensburg auf. Dennoch wisse die Stadt nicht genau, wie viele Wohnungen in Ravensburg überhaupt familientauglich seien. Man brauche belastbares Zahlenmaterial – auch diese Forderung kam vom Podium, um überhaupt zielgerichtet das Problem bezahlbarer Wohnungen anzugehen.

Vor allem junge Familien mit Kindern, Alleinerziehende oder Menschen mit Akzeptanzproblemen wie zum Beispiel Migranten oder Menschen mit einer psychischen Erkrankung hätten laut Ewald Kohler, Leiter der Caritas Bodensee-Oberschwaben, kaum Chancen auf dem Ravensburger Mietmarkt. Friedemann Manz, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Ravensburg, beschrieb die Abwärtsspirale nach Trennung oder Arbeitslosigkeit als eine Ursache, die in der Folge die Betroffenen auf einen schwierigen Wohnungsmarkt prallen ließe. Wie sein Kollege Kohler signalisierte Manz Unterstützung bei der Mitarbeit eines Bündnisses für Wohnen. „Es muss aber auch in den Köpfen aller Beteiligter ankommen“, mahnte Manz.

Anton Schmidt, der Vorsitzendes des Mietervereins Oberschwaben, forderte mehr steuerliche Anreize für das Vermieten von Wohnraum: „Dann wird es wieder mehr zusätzlichen Wohnraum geben und nach den Marktgesetzen müssten ja dann die Mieten sinken.“ Marc Ulrich, Vorstandsvorsitzender des Bau- und Sparvereins Ravensburg, betonte, dass es mehr direkte finanzielle Zuschüsse für Bauinvestitionen geben müsse. „Die Baukosten sind in den letzten Jahren um 47 Prozent gestiegen“, sagte er und zeigte so auf, dass dies nicht wenige vom Bauen abschrecke, auch bei derzeit niedrigen Zinsen.

Landtagsabgeordneter Manne Lucha hob hervor, dass Ravensburg eine am Gemeinsinn orientierte Stadt sei. Deshalb könne bezahlbarer Wohnraum für die Schwachen nur über ein Bündnis für Wohnen geschaffen werden. Lucha brachte ein aktives Quartiermanagement ins Spiel: „Wir werden intelligenter bauen müssen, um so neue Wohn- und Lebensformen zu ermöglichen.“ Man müsse auch potenziellen Vermietern Ängste nehmen, dass Mieter zum Beispiel ihre Miete nicht zahlen könnten. Die Stadt, eine Wohnbaugesellschaft oder sogar soziale Träger wie die Caritas oder die Diakonie könnten hier als Mieter auftreten und dann die Wohnungen untervermieten. „Wir müssen diese Mietverhältnisse dabei qualifiziert begleiten“, sagte Friedemann Manz.

Patricia Ostertag, Vorständin des Haus-und Grundbesitzervereins Ravensburg, sprach sich für eine stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus aus. Für sie sei aber auch die Bedarfsberechnung für Wohnkosten im Sozialgesetzbuch nicht mehr realistisch: „Was ist mit den zum Teil sehr hohen Nebenkosten?“
Der Wohnungsmarkt in Ravensburg
Die Stadt Ravensburg hat bereits in den 1920er und -30er Jahren Wohnungsbau betrieben. Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen ist jedoch gering. Laut dem Wohnbericht von 2008 sind das nur 1,8 Prozent der Wohnungen. In den letzten zehn Jahren gingen die Anträge auf städtische Wohnungen von 450 auf 185 zurück. 50 bis 80 Antragssteller würden laut Baudezernent Dirk Bastin in einem städtischen Wohnraum untergebracht. Ab einer gewissen Haushaltsgröße bietet der Ravensburger Markt aber keine Wohnungen mehr. Laut Zensus 2011 gibt es 23639 Wohnungen im Stadtgebiet, macht 1,9 Millionen Quadratmeter Wohnfläche. Diese Zahl ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Ravensburg als Zuzugsregion hat es jedoch in den letzten Jahren nicht geschafft, diesen wachsenden Bedarf zu befriedigen. Und so brauche es laut Bastin ein Bündnis für Wohnen. (hd)

Kommentar

Es geht nur gemeinsam

von Harald Dubyk

Die Botschaft war klar und deutlich. Es geht nur gemeinsam. Am Besten mit einem Bündnis für Wohnen. Baudezernent Dirk Bastin hat dieses Bündnis ins Spiel gebracht, die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zum bezahlbaren Wohnraum haben es dankbar aufgegriffen. Denn auch sie wissen – unabhängig davon, welche Klientel sie vertreten: Alleingänge funktionieren nicht. Von der Geburtsstunde eines solchen Bündnisses war an diesem Abend die Rede. Nun müssen alle Beteiligten Dirk Bastin folgen. Sie müssen zeigen, dass sie nicht nur gerne Geburtshelfer sind, sondern auch dieses Bündnis für Wohnen in Ravensburg zum Erfolg führen wollen. Das Podium an diesem Abend in der Vesperkirche war hochkarätig besetzt. Wer, wenn nicht sie alle gemeinsam, können es schaffen. Ravensburgs Baudezernent schaute an diesem Abend hoffnungsvoll in die Runde. Nach den Worten müssen nun Taten folgen. Alles andere wäre fatal.