Vesperkirche als Ort der Solidarität – 13 450 Gäste kamen an zwanzig Tagen in die Ravensburger Vesperkirche
Die Ravensburger Vesperkirche 2015 ist gestern zu Ende gegangen. An zwanzig Tagen gab es einen beheizten Kirchenraum, eine warme Mahlzeit und viele Gespräche – nicht selten auch gegen die Einsamkeit. Am letzten Tag kamen nochmal 630 Gäste in die evangelische Stadtkirche. Die Organisatoren von Diakonischem Werk Ravensburg und den Zieglerschen aus Wilhelmsdorf ziehen eine erste positive Bilanz.
Das Gästebuch der Vesperkirche zeigt, wie sich viele Besucher in den vergangenen drei Wochen gefühlt haben. „Vielen Dank für alles. Eine derartige Aktion habe ich sonst noch nie gesehen, unglaublich, was hier auf die Beine gestellt wird. Großes Lob“, schrieb einer. Ein weiterer Gast schrieb: „Die Vesperkirche ist ein toller Begegnungsort. Kirche einmal ganz anders. Schön.“ Zwei Eindrücke, die stellvertretend für viele andere stehen.
13 450 Gäste kamen insgesamt an den zwanzig Tagen der Ravensburger Vesperkirche. „Das sind noch einmal rund 1100 Menschen mehr als vor einem Jahr“, sagt Mitorganisator Harald Dubyk. Im Schnitt kamen täglich 673 Gäste in die Kirche. Das Spendenaufkommen überschritt kurz vor Ende der Vesperkirche 100 000 Euro. „Damit ist die Finanzierung der Vesperkirche gesichert. Wir danken allen unseren Unterstützern, egal ob sie Geld, Sachleistungen oder ihre Arbeitszeit, wie unsere 350 ehrenamtlichen Helfer, gespendet haben“, sagt Dubyk.
Für viele Ravensburger ist die Vesperkirche sicher auch zur Herzensangelegenheit geworden. Das zeigt die bunte Vielfalt der Menschen, die in die Kirche kamen. Da wurde der Wohnsitzlose von einem Menschen im Rollstuhl am Kircheneingang freundlich begrüßt, der Asylbewerber als ehrenamtlicher Helfer trug dem berufstätigen Mittagsgast das Geschirr ab und der pensionierte Schulrektor verteilte Vespertüten an bedürftige Familien. Das Vesperkirchen-Motto „Offen für alle“ wurde so mit Leben gefüllt. Es sei ein beeindruckendes Signal an die Gäste, wenn sie zum Beispiel von einem Rollstuhlfahrer begrüßt wurden, was sicher nicht wenige vor ihrem Besuch der Vesperkirche erwartet hatten. „Die Vesperkirche“, sagt Harald Dubyk, „ist ein Ort der Solidarität. Die Starken kümmern sich um die Schwachen. Und das alles in einem Kirchenraum. Hier kommen unterschiedliche Schichten zusammen. Auch das ist gelebte Inklusion“
„Die Armut sieht man den Menschen nicht immer sofort an“, sagt Pfarrer Friedemann Manz, einer der drei Organisatoren der Ravensburger Vesperkirche. Viele Ehrenamtliche, die zum Beispiel ihren Dienst in der persönlichen Zuwendung von Gästen versahen, berichteten ähnliches nach ihren Gesprächen mit den Menschen. „Nicht wenige ertragen ihre Armut in Stille“, ergänzt Mitorganisator Gerd Gunßer. Wenn am Monatsende das Geld knapp werde, sei die Vesperkirche ein Ort, um größere Not zu lindern. So kamen täglich viele ältere alleinstehende Frauen bereits vor Beginn der Essensausgabe in die Vesperkirche, um den geheizten Kirchenraum zu nutzen und so das eigene schmale Budget fürs Heizen der eigenen vier Wände zu entlasten.
Bei den Besuchen von Politikern konnten die drei Organisatoren der Vesperkirche auch wichtige Botschaften setzen. Das Thema Armut – in Oberschwaben nicht immer sofort sichtbar – war häufig Gesprächsinhalt mit den Politikern. Und dass eine Bundestagsabgeordnete Agniezska Brugger, ein Stadtrat Rolf Engler oder ein Oberbürgermeister Daniel Rapp Stunden lang Tische abräumten oder Kaffee servierten, war sicher eine nachhaltige Erfahrung für die drei. Auch die Podiumsdiskussion zum bezahlbaren Wohnraum in Ravensburg am vergangenen Donnerstagabend in der Kirche trug zum sozialpolitischen Akzent bei, den die Vesperkirche bewusst setzen wollte. „Bei uns erleben die Politiker auch das Leben hautnah“, sagt Gerd Gunßer.
Aber es ist auch der Kirchenraum, der eine einmalige Atmosphäre unter all seinen Besuchern entstehen lässt. „Diese Einzigartigkeit ist für uns als Vesperkirche enorm wichtig“, sagt Friedemann Manz. „Deshalb ist auch die anstehende Sanierung der Stadtkirche für uns so wichtig. Wir wünschen der Kirchengemeinde viel Glück bei der Sanierung.“