„Vesperkirche ist ein Ort der Geborgenheit für alle“
Am Dienstag, 16. Februar, beginnt in Weingarten die Vesperkirche. Dann wird dieses einmalige Erlebnis die evangelische Stadtkirche in Weingarten mit Leben erfüllen. Gastgeber der Vesperkirche ist die evangelische Kirchengemeinde Weingarten. Harald Dubyk hat den geschäftsführenden Pfarrer Stephan Günzler befragt.
Herr Günzler, welche Bedeutung hat eine Vesperkirche für Ihre Kirchengemeinde?
Unsere Gemeinde blickt mit Spannung dem Großereignis entgegen. Wir freuen uns sehr, dass die Vesperkirche nun zum dritten Mal in der Evangelischen Stadtkirche in Weingarten stattfindet. Unsere Kirche mit ihrer schönen Holzdecke hat eine besondere Atmosphäre, die schon vom Raum her spüren lässt, was die Vesperkirche sein möchte: Ein Ort der Geborgenheit für alle. Jahr für Jahr sind es mehr Gäste geworden. Wir sind gespannt, wie wir diese Herausforderung miteinander bewältigen werden.
Die Vesperkirche setzt ein weithin sichtbares Signal: Kirche ist nicht für sich selber da. Sie ist kein Ort für Gleichgesinnte, die am liebsten unter sich bleiben wollen. Wir Christen wollen unseren Teil dazu beitragen, dass das Zusammenleben der Menschen, so verschieden sie sind, gelingt, und keiner ausgegrenzt wird.
Das Motto der Vesperkirche „Heimat geben – jeder ist willkommen, wie er ist“ ist durch das Eintreffen der Flüchtlinge besonders dringlich geworden. Aber nicht nur die Hilfe für die Bedürftigen, sondern dass wir selber uns öffnen ist das Ziel einer echten Willkommenskultur. Meine Hoffnung ist, dass dieser gute Geist bei der Vesperkirche spürbar wird.
Und wie bringen Sie sich als Kirchengemeinde ein?
Fast 300 Menschen arbeiten ehrenamtlich bei der Vesperkirche mit. Und keiner fragt, ob man evangelisch oder katholisch ist oder sonst etwas. Es verbindet, wenn man miteinander etwas Sinnvolles tun kann für andere. Gerne bringen wir als Gemeinde unsere Räume ein. Manches, was in der Stadtkirche keinen Platz mehr hat wie die Sozialberatung, die medizinische Versorgung oder der Frisör werden ins Gemeindehaus ausgelagert. Für unseren Mesner bedeuten diese drei Wochen Schwerstarbeit, aber nichts ist schöner für ihn, als wenn die Kirche voll ist. Im Rahmen der Vesperkirche finden zahlreiche besondere Gottesdienste und tägliche Andachten statt, wo sich die Chöre und Gruppen unserer Gemeinde einbringen. An den Sonntagnachmittagen finden offene Bibelstunden statt. Auch der Ökumenische Weltgebetstag wird dieses Jahr im Rahmen der Vesperkirche gefeiert.
Als Hausherr der evangelischen Stadtkirche in Weingarten haben Sie die Vesperkirche drei Wochen zu Gast. Wie geht man da als Kirchengemeinde um damit?
„Auf dass mein Haus voll werde!“ sagt der Hausherr in der Geschichte, die Jesus einmal erzählt. Der lässt sich nicht entmutigen von den Absagen derer, die nicht zu seinem Fest kommen wollen. Er feiert mit den Armen und Lahmen und holt die Leute herein, die auf der Straße leben. Mit den Konfirmanden gestalten wir einen Abendmahlsgottesdienst zu dieser Geschichte aus dem Lukasevangelium. Die Vesperkirche wird uns ganz neue Zugänge zur Botschaft unseres Glaubens eröffnen. Da bin ich überzeugt. Schön finde ich, dass bei der Vesperkirche nicht nur die leiblichen Bedürfnisse, sondern auch Seele und Geist im Blick sind. Jeden Tag gibt es geistliche Impulse und am Abend ein fantastisches Kulturprogramm, das keinen Eintritt kostet.
Die Vesperkirche macht den Kirchenraum zu einem Ort der Begegnung vieler unterschiedlicher Menschen, es wird gemeinsam gegessen, miteinander gesprochen, begegnet. Es ist Kirche auf Zeit einmal anders wie sonst während des Jahres. Wie stehen Sie dazu?
„Offen für alle“ ist die Vesperkirche überschrieben. Wir sitzen miteinander an einem Tisch: Die top gestylte Frau von der Bank und der arbeitslose Stadtstreicher, der coole Gymnasiast und die einsame Rentnerin, das türkische Kind aus dem Kindergarten und der alte Herr aus dem Kirchenchor. Wo wir miteinander essen und miteinander reden, wird konkret, was Jesus uns vorgelebt hat.
Dass Menschen sich begegnen und einander wahrnehmen, die sonst mehr oder weniger beziehungslos nebeneinander her leben, das ist für mich die große Chance dieser drei Wochen. Meine Hoffnung ist, dass der Geist der Vesperkirche auch darüber hinaus Wirkung zeigt und wir den Menschen offen begegnen, die mit uns in unserer Stadt leben oder jetzt Heimat suchen bei uns.
Herr Günzler, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.